Die medizinische Versorgung wird komplexer

Die medizinische Versorgung wird komplexer

Langfristige Entwicklungen im Arzthaftungsrecht zeichnen sich vor dem Hintergrund technischer Innovationen, gesellschaftlicher Veränderungen und zunehmender rechtlicher Differenzierung ab. Die medizinische Versorgung wird komplexer – das verlangt nach neuen Antworten des Rechts. Hier ein Überblick über zentrale Trends und mögliche Entwicklungen:

Langfristige Entwicklungen im Arzthaftungsrecht

1. Digitalisierung der Medizin

  • Telemedizin & Fernbehandlung: Mit der zunehmenden Verlagerung medizinischer Leistungen in den digitalen Raum (z. B. Videosprechstunden, KI-Diagnostik) entstehen neue Haftungsfragen.
    → Wer haftet bei Fehldiagnosen durch KI-Systeme oder fehlerhafte Teleberatung?
  • Elektronische Patientenakte (ePA): Die Dokumentationspflichten verändern sich. Unvollständige oder fehlerhafte Daten können haftungsrechtlich relevant werden.

2. Haftung bei KI-gestützter Medizin

  • Künstliche Intelligenz (KI): Der Einsatz von KI in Diagnose, Therapieempfehlung oder OP-Robotik erfordert neue Zurechnungsmodelle.
    → Wird der Arzt entlastet, wenn ein KI-System einen Fehler macht, oder haftet er für die Auswahl des Systems?
  • Herstellerverantwortung: Mögliche Verschiebung der Haftung in Richtung der Produzenten medizinischer Software und Geräte.

3. Stärkere Patientenrechte

  • Aufklärungspflichten: Der Trend geht zu umfassenderen Informationspflichten, etwa auch über alternative Behandlungsmethoden, KI-Einsatz oder wirtschaftliche Interessen.
  • Beweislastverteilung: Weitere Diskussion über Beweislastumkehr zugunsten von Patienten, insbesondere bei komplexen Behandlungsfehlern.

4. Spezialisierung und Haftungsverschärfung

  • Zunehmende Spezialisierung: Haftungsmaßstäbe könnten differenzierter nach Qualifikation und Fachgebiet ausgelegt werden.
  • Multidisziplinäre Behandlungsteams: Die Frage, wer im Team haftet, wird relevanter – etwa bei koordinierten Behandlungen in Klinikverbünden.

5. Kollektive und präventive Rechtsdurchsetzung

  • Patientenschutzorganisationen: Stärkere Rolle bei der Vertretung von Patienteninteressen, ggf. kollektive Klageformen (z. B. Musterfeststellungsklage).
  • Fehlermanagement & Compliance-Systeme: Kliniken werden zunehmend präventiv tätig, um Haftungsrisiken zu vermeiden – unterstützt durch gesetzliche Anforderungen (z. B. Qualitätsmanagementsysteme).

Das Arzthaftungsrecht steht vor einer schrittweisen, aber tiefgreifenden Modernisierung. Technische Innovationen wie KI und Telemedizin fordern klassische Haftungskonzepte heraus, während die Rechtsstellung der Patienten weiter gestärkt wird. Dabei wird auch die Frage, wie sich Haftung gerecht auf Ärzt:innen, Kliniken und Technikhersteller verteilt, immer zentraler.

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