Arzthaftung: Schritte für Geschädigte und effektive Rechtsdurchsetzung

Bei einem Arzthaftungsfall müssen Betroffene strategisch und rechtlich fundiert vorgehen, um ihre Ansprüche erfolgreich durchzusetzen. Der gesamte Prozess kann Monate bis Jahre dauern, je nach Komplexität des Falls, der Beweislage und der Gerichtsbelastung. Eine effiziente und beschleunigte Vorgehensweise hängt von einer sorgfältigen Vorbereitung, einer guten Beweisführung und einer strategischen Verfahrensführung ab.


1. Erste Schritte als Geschädigter

a) Dokumentation und Beweise sichern (Dauer: Sofort bis wenige Wochen)

  • Gesundheitszustand dokumentieren: Eigene Aufzeichnungen über Beschwerden, Therapieverläufe und mögliche Fehler erstellen.
  • Ärztliche Unterlagen anfordern: Nach § 630g BGB hat der Patient das Recht auf Einsicht und Kopie der Behandlungsdokumentation. Dies kann bis zu vier Wochen dauern.
  • Zweitmeinung einholen: Eine neutrale ärztliche Einschätzung kann helfen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt.
  • Krankenkasse und Medizinischer Dienst (MD): Die Krankenkasse kann auf Antrag ein Gutachten des MD erstellen lassen.

Beschleunigungsmöglichkeiten:

  • Sofortige schriftliche Anforderung der Patientenakte mit Fristsetzung.
  • Notfalls Einschaltung der Ärztekammer oder der Datenschutzbehörde bei Verzögerung.
  • Direkte Anfrage eines Privatgutachters zur schnelleren Ersteinschätzung.

2. Rechtliche Prüfung und Anspruchsanalyse (Dauer: 2–6 Wochen)

Hier setzt die anwaltliche Tätigkeit an. Als Kanzlei übernehmen Sie:

  • Prüfung der Behandlungsunterlagen und Gutachten auf Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler.
  • Ermittlung der Haftungsgrundlagen (Aufklärungsfehler, Diagnosefehler, Behandlungsfehler, Dokumentationsmängel etc.).
  • Bewertung des Schadensumfangs: Schmerzen, Verdienstausfall, Pflegekosten etc.
  • Erstgespräch mit Mandanten zur Sachverhaltsaufnahme und strategischen Planung.

Beschleunigungsmöglichkeiten:

  • Sofortige Aktenanforderung durch den Anwalt (oft schneller als durch den Patienten).
  • Direkte Kontaktaufnahme mit Medizinrechtsspezialisten oder Gutachtern.
  • Parallele Prüfung von außergerichtlichen Einigungsmöglichkeiten.

3. Außergerichtliche Streitbeilegung (Dauer: 3–6 Monate)

  • Schlichtungsstelle der Ärztekammer: Ein kostenfreies Verfahren, das in ca. 6 Monaten eine Stellungnahme abgibt. Allerdings nicht bindend.
  • Direkte Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung des Arztes/Krankenhauses: Häufig wird hier eine außergerichtliche Einigung angestrebt.
  • Vergleichsangebote: Ziel ist eine schnelle und faire Entschädigung.

Beschleunigungsmöglichkeiten:

  • Vermeidung der Ärztekammer, wenn eine Versicherung bereits verhandlungsbereit ist.
  • Direkte Kontaktaufnahme mit der Versicherung und Vorlage eines fundierten Gutachtens.
  • Nutzung von Mediationsverfahren.

4. Gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche (Dauer: 1–5 Jahre)

Wenn außergerichtlich keine Einigung erzielt wird, folgt die Klage vor dem Landgericht.

a) Klageerhebung und Beweisaufnahme (6–24 Monate)

  • Einreichung der Klageschrift mit konkreten Schadenspositionen.
  • Gerichtliche Beweiserhebung: Anordnung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens (oft langwierig!).
  • Zeugenvernehmung: Ärzte, Pfleger, Sachverständige.

Beschleunigungsmöglichkeiten:

  • Antrag auf Beschleunigung der Beweisaufnahme (gerichtliches Eilverfahren).
  • Parallel ein Privatgutachten einholen, um die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen.
  • Strategische Vergleichsverhandlungen während des Verfahrens.

b) Urteil und Durchsetzung (6–18 Monate)

  • Urteil und ggf. Schadensersatzauszahlung.
  • Zwangsvollstreckung, falls die Gegenseite nicht zahlt.

Beschleunigungsmöglichkeiten:

  • Antrag auf vorläufige Vollstreckbarkeit bei klarer Sachlage.
  • Einstweilige Verfügung bei akuten Schäden (z. B. notwendige medizinische Versorgung).

5. Effektive Strategie für Arzthaftungsfälle

  • Schnelle Beweissicherung und Akteneinsicht.
  • Gezielte Gutachtenstrategie (Privat- oder gerichtliches Gutachten).
  • Frühzeitige Verhandlungsführung mit Versicherung.
  • Effiziente Klageführung mit Beweisanträgen zur Beschleunigung.

Was Rechtsanwälte erledigen:

Beweissicherung und medizinische Prüfung
Gutachterkoordination
Verhandlungen mit Ärztekammern, Versicherungen und Gerichten
Vertretung vor Gericht und Durchsetzung der Ansprüche

Mit einer strukturierten Vorgehensweise können Verzögerungen minimiert und Schadensersatzansprüche zügig durchgesetzt werden.

Wichtige Entscheidungen zum Arzthaftungsrecht

Im Arzthaftungsrecht gibt es zahlreiche Urteile, die die Rechte von Patienten und die Pflichten von Ärzten konkretisieren. Hier eine Auswahl der Entscheidungen mit Aktenzeichen, Namen und Erläuterungen:


1. „Wiederholungsgefahr bei Schmerzensgeldbemessung“

BGH, Urteil vom 8. Februar 2022 – VI ZR 409/19

Sachverhalt:
Ein Patient klagte auf Schmerzensgeld nach einer grob fahrlässig durchgeführten Operation. Der Arzt hatte bei der Durchführung eine Komplikation übersehen, die vermeidbar gewesen wäre.

Entscheidung:
Der BGH betonte, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes neben der Kompensationsfunktion auch die Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen ist. Grobe Fahrlässigkeit des Arztes führt zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes, um eine präventive Wirkung zu erzielen.


2. „Hygienemängel und Beweislast“

BGH, Urteil vom 19. Februar 2019 – VI ZR 505/17

Sachverhalt:
Ein Patient erlitt nach einer Operation eine Infektion. Er warf dem Krankenhaus Hygienemängel vor. Das Krankenhaus bestritt dies, ohne detailliert darzulegen, welche Hygienemaßnahmen ergriffen wurden. Weiterlesen

Zahnarzt hat einen Patienten über eine prothetische Versorgung mittels Einzelkronen oder einer Verblockung vollständig aufzuklären

Ein Zahnarzt hat einen Patienten über eine prothetische Versorgung mittels Einzelkronen oder einer Verblockung vollständig aufzuklären, wenn beide Behandlungsmethoden medizinisch gleichermaßen indiziert und üblich sind und wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, so dass der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat.

Oberlandesgericht Hamm, 26 U 54/13 vom 17.12.2013

§§ 823, 253, 249ff BGB Weiterlesen

Bei Fehlen einer gesetzlichen Krankenversicherung bleibt der Patient im wesentlichen Kostenschuldner nach §§ 10 ff BPflV

Haben der Krankenhausträger und der Patient (hier: die Mutter des minderjährigen
Patienten) die gemeinsame Vorstellung, daß eine gesetzliche Krankenversicherung
bestehe, die die Kosten des Krankenhausaufenthalts übernehme,
und stellt sich dies als Irrtum heraus, dann fehlt dem zwischen dem
Krankenhausträger und dem Patienten (hier der Mutter des minderjährigen
Patienten) geschlossenen Behandlungsvertrag die Geschäftsgrundlage.
Die bei Fehlen der Geschäftsgrundlage gebotene Anpassung des zwischen
dem Krankenhausträger und dem Patienten (hier: der Mutter des Patienten)
geschlossenen Behandlungsvertrages führt dazu, daß der Krankenhausträger
die nach Maßgabe der §§ 10 ff BPflV zu ermittelnde Vergütung für die
allgemeinen Krankenhausleistungen von dem Patienten (hier: von der Mutter
des Patienten) fordern kann.
BGH, Urteil vom 28. April 2005 – III ZR 351/04 – OLG Koblenz
LG Koblenz

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In Arzthaftungssachen gilt im Zusammenhang mit einem Sachverständigengutachten das Verbot der Überbeschleunigung gleichermassen

a) In Arzthaftungssachen kann ein Verstoß gegen das verfassungsmäßige Ver-bot einer “Überbeschleunigung” insbesondere dann vorliegen, wenn das als verspätet zurückgewiesene Verteidigungsvorbringen ein – in der Regel schriftliches – Sachverständigengutachten veranlasst hätte, dieses Sachverständigengutachten aber in der Zeit zwischen dem Ende der Einspruchsbe-gründungsfrist und der darauf folgenden mündlichen Verhandlung ohnehin nicht hätte eingeholt werden können.

b) Verteidigungsmittel sind in der Regel nicht “nach Ablauf einer hierfür gesetz-ten Frist” (§ 296 Abs. 1 ZPO) vorgebracht, wenn das Gericht nach Ablauf der gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 ZPO gesetzten (und verlängerten) Klageerwide-rungsfrist dem Beklagten ohne Fristsetzung nochmals Gelegenheit zur Kla-geerwiderung gibt.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2012 – VI ZR 120/11 – OLG Karlsruhe

ZPO § 296 Abs. 1, § 340 Abs. 3 Satz 3 Weiterlesen

Anwendung einer Außenseitermethode bei einer Folgebehandlung erfodert eine Patientenaufklärung durch Chirurgen

Zur erforderlichen Patientenaufklärung durch einen Chirurgen über dessen Absicht, bei einer Folgebehandlung, die wegen der Verwirklichung eines der Erstoperation typischerweise anhaftenden Risikos notwendig werden könnte, auch eine Außensei-termethode anzuwenden.

BGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 – 3 StR 239/10 – LG Mönchengladbach
StGB § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 228 Weiterlesen

Verjährung eines Geburtsschadens bei eventueller grob fahrlässiger Unkenntnis der Leistungsabteilung der Versicherung und Nichtinformation der Regressabteilung

Eine die Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Lauf setzende grob fahrlässige Unkenntnis ist in Regressfällen nicht schon dann gegeben, wenn die Mitarbeiter der Leistungsabteilung der Versicherung des Geschädigten bei arbeitsteiliger Organisation keine Initiativen zur Aufklärung des Schadensgeschehens entfalten und deshalb der Schadensfall den Mitarbeitern der Regressab-teilung nicht bekannt geworden ist.
BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 9/11 – KG Berlin
LG Berlin Weiterlesen

Einstandspflicht des Arztes für die Folgen eines Zweiteingriffs durch einen nachbehandelnden Arzt

Zur Einstandspflicht des Arztes für die Folgen eines Zweiteingriffs durch einen nachbehandelnden Arzt, der erforderlich wird, weil dem vorbehandelnden Arzt beim Ersteingriff ein Behandlungsfehler unterlaufen ist.

BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 – VI ZR 157/11 – OLG München
LG München I

BGB § 823 Abs. 1 F, § 249 Ba
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Beauftragung einer nicht erforderlichen humangenetischen Blutuntersuchung durch einen externen Laborarzt

Beauftragt der behandelnde Arzt einen externen Laborarzt im Namen seines Privatpatienten mit einer nicht erforderlichen humangenetischen Blutuntersuchung, steht dem Laborarzt keine Vergütung gegen den Patienten zu.

Beauftragt der behandelnde Arzt einen externen Laborarzt im Namen seines Privatpatienten mit einer humangenetischen Blutuntersuchung, die objektiv für eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 GOÄ nicht erforderlich ist, steht dem Laborarzt gegen den Patienten ein Vergütungsanspruch auch dann nicht zu, wenn der Laborarzt den ihm er-teilten Auftrag fehlerfrei erfüllt und auf der Grundlage seines Kenntnisstands keine Veranlassung hatte, die Erforderlichkeit der Untersuchung in Zweifel zu ziehen.
BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 – III ZR 188/09 – Brandenburgisches OLG
LG Neuruppin

GOÄ § 1 Abs. 2 Satz 1 Weiterlesen

Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen durch die Prozessanwälte in Arzthaftungsprozessen

Die von den Parteien nach § 134 ZPO oder die von Dritten nach § 142 Abs. 1 ZPO eingereichten Original-Urkunden sind nicht Teil der Gerichtsakten. Ein Anspruch auf Akteneinsicht bzw. auf die Erteilung von Abschriften folgt nicht unmittelbar aus § 299 ZPO. Bei Urkunden, die unmittelbar vom Gericht gem. § 142 ZPO bei Dritten angefordert werden, ergibt sich ein Anspruch auf die Anfertigung von Fotokopien aber sowohl aus den Regelungen der §§ 131, 133 ZPO sowie einer analogen Anwendung des § 299 ZPO unter Beachtung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG.

§ 299 ZPO sieht eine Übersendung der Prozessakten an Prozessbevollmächtigte der Parteien nicht ausdrücklich vor. Die Versendung kann aber nach pflichtgemäßen Ermessen erfolgen, wenn die Akten entbehrlich und der Empfänger vertrauenswürdig ist. Bei der Entscheidung ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen.

Dasselbe gilt für die von den Parteien oder gemäß § 142 ZPO von Dritten eingereichten Urkunden und Unterlagen dann, wenn die Person, zwischen der und dem Gericht das Verwahrungsverhältnis begründet wurde, einer Übersendung der Akten an die Prozessbevollmächtigten zustimmt. Bevor das Gericht eine Übersendung ablehnt, hat es zunächst bei den Dritten anzufragen, ob diese einer Übersendung der Unterlagen an die Prozessbevollmächtigten beider Parteien zustimmen.

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