Formulare zur ärztlichen Aufklärung unterliegen gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht einer AGB-Kontrolle

Formulare, die eine ärztliche Aufklärung und die Entscheidung des Patienten, ob er eine angeratene Untersuchung vornehmen lassen will, dokumentieren sollen, unterliegen gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht einer Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB, da für die ärztliche Aufklärung durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte eigenständige Regeln gelten, die auch das Beweisregime erfassen.

BGH URTEIL III ZR 63/20 vom 2. September 2021 – AGB-Kontrolle einer Patienteninformation

BGB § 307 Abs. 3 Satz 1

Formulare, die eine ärztliche Aufklärung und die Entscheidung des Patienten, ob er eine angeratene Untersuchung vornehmen lassen will, dokumentieren sollen, unterliegen gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht einer Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB, da für die ärztliche Aufklärung durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte eigenständige Regeln gelten, die auch das Beweisre-gime erfassen.

BGH, Urteil vom 2. September 2021 – III ZR 63/20 – OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Reiter, die Richterin Dr. Arend sowie die Richter Dr. Kessen und Dr. Herr
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. März 2020 wird zurückge-wiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG ein-getragen. Er macht gegen den beklagten Verein, einen Berufsverband für Au-genärzte, einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1 UKlaG geltend. Der Beklagte empfiehlt seinen Mitgliedern, nachstehend wiedergegebene “Patienteninforma-tion” zur “Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom)” zu verwenden:
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Der Kläger hat beantragt, den Beklagten unter Androhung von Ordnungs-mitteln zu verurteilen, die Empfehlung der Klausel “Ich habe die Patienteninfor-mation zur Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom) gelesen und wurde dar-über aufgeklärt, daß trotz des Fehlens typischer Beschwerden eine Früherken-nungsuntersuchung ärztlich geboten ist” und/oder dieser Klausel mit dem anzu-kreuzenden Zusatz “Ich wünsche zur Zeit keine Glaukom-Früherkennungsunter-suchung” zu unterlassen sowie Abmahnkosten in Höhe von 260 € nebst Zinsen zu zahlen. Er ist der Auffassung, bei der Klausel handele es sich um eine nach § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchst. b BGB unzulässige Tatsachenbestätigung; zu-dem werde der Patient psychologisch unter Druck gesetzt, da er sich einer ärzt-lichen Empfehlung offen widersetzen müsse.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (VuR 2017, 272). Auf die Be-rufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil ab-geändert und die Klage abgewiesen (GesR 2020, 314). Mit der vom Berufungs-gericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte empfehle Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff BGB. Dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterfielen einseitige, von der Gegenseite vorformulierte
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Erklärungen, wenn sie im Zusammenhang mit einer rechtlichen Sonderbezie-hung des Betroffenen stünden. Dies sei hier auch dann der Fall, wenn der Patient die Maßnahme ablehne.
Ein Verstoß gegen § 309 Nr. 12 BGB liege indessen nicht vor. Der Arzt teile dem Patienten mit, welche weiteren Maßnahmen er für angezeigt halte. Es handele sich daher um eine therapeutische Aufklärung im Sinne des § 630c Abs. 2 BGB, für deren Fehlerhaftigkeit der Patient von vornherein die Beweislast trage. Zwar werde § 309 Nr. 12 BGB auch auf Klauseln angewandt, die die Be-weislast lediglich erschwerten. Die Vorschrift sei jedoch im Hinblick auf die Auf-klärung und deren Bestätigung im Arzt-Patienten-Verhältnis teleologisch zu re-duzieren. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass der Arzt dem Patienten im Rahmen der mündlichen Aufklärung schriftliche Unterlagen übergeben und sich dies bestätigen lassen dürfe. § 630e Abs. 2 Satz 2 BGB hätte weitgehend keinen Anwendungsbereich, wenn § 309 Nr. 12 BGB uneingeschränkt für den Behandlungsvertrag gälte. Auch der Bundesgerichtshof halte eine schriftliche Aufklärung für wünschenswert; diese führe allerdings nicht zu einer Beweis-lastumkehr, sondern sei lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung zu berück-sichtigen.
Die angegriffenen Klauseln verstießen auch nicht aus anderen Gründen gegen § 307 BGB. Zwar sei es denkbar, dass die einseitige Erklärung eines Ver-brauchers dann als unangemessene Benachteiligung anzusehen sei, wenn sie gleichzeitig eine “aggressive geschäftliche Handlung” im Sinne des § 4a UWG darstelle. Es gehöre allerdings auch zu den Pflichten eines Arztes, den Patienten auf drohende Gefahren mit Nachdruck hinzuweisen, wenn er eine bestimmte Maßnahme nicht unternehme. Die beanstandeten Klauseln überschritten die da-
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nach gezogenen Grenzen nicht. Die in der Patienteninformation enthaltenen In-formationen als solche würden vom Kläger nicht beanstandet. Der Patient werde die Formulierung, die Behandlung sei “trotz des Fehlens typischer Beschwerden … ärztlich geboten”, dahin verstehen, dass die Untersuchung nach den objekti-ven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen vertretbar, aber nicht “zwingend notwendig” sei. Nach dem eingeholten Sachverständigen-gutachten treffe dies zu.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 1 UKlaG zu, die Empfehlung des streitigen Passus zu unterlassen.
a) Bei der angegriffenen, in der “Vereinbarung über gewünschte Privatbe-handlung” enthaltenen Klausel handelt es sich zwar um Allgemeine Geschäfts-bedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB; die Beklagte erhebt insoweit auch keine Gegenrügen.
b) Die Klausel ist jedoch nicht gemäß § 307 Abs. 1 und 2, § 308 oder § 309 BGB unwirksam. Sie weicht weder von Rechtsvorschriften ab noch ergänzt sie diese, so dass eine Inhaltskontrolle nach diesen Bestimmungen gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht stattfindet. Das vom Beklagten empfohlene Informati-onsblatt unterrichtet die Patienten über das Risiko eines symptomlosen Glau-koms und über die Möglichkeit einer (auf eigene Kosten durchzuführenden) Früh-erkennungsuntersuchung. Die streitige Klausel dient der Dokumentation der hier-
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über erfolgten Aufklärung und der Entscheidung des Patienten, ob er die ange-ratene Untersuchung vornehmen lassen will. Für die ärztliche Aufklärung gelten durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte eigenständige Regeln, die auch das Beweisregime erfassen. Danach dürfen an den dem Arzt obliegenden Beweis dafür, dass er eine geschuldete Aufklärung geleistet hat, keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Tatrichter hat die besondere Situation, in der sich der Arzt während der Behandlung des Patienten befindet, ebenso zu berücksichtigen wie die Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu haftungsrechtlichen Zwe-cken ergeben kann. In jedem Fall bedarf es einer verständnisvollen und sorgfäl-tigen Abwägung der tatsächlichen Umstände, für die der Tatrichter einen erheb-lichen Freiraum hat (BGH, Urteile vom 28. Januar 2014 – VI ZR 143/13, NJW 2014, 1527 Rn. 11; vom 8. Januar 1985 – VI ZR 15/83, NJW 1985, 1399; vom 28. Februar 1984 – VI ZR 70/82, NJW 1984, 1807, 1809; vgl. auch Urteile vom 21. September 1982 – VI ZR 302/80, NJW 1983, 333 – in BGHZ 85, 212 insoweit nicht abgedruckt – und vom 10. März 1981 – VI ZR 202/79, NJW 1981, 2002, 2003 f).
Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen gehört etwa eine stän-dige oder übliche Beratungspraxis; kann der Arzt eine solche darlegen und ge-gebenenfalls beweisen, sollte im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (BGH, Urteile vom 28. Januar 2014 aaO; vom 8. Januar 1985 aaO und vom 21. September 1982 aaO S. 2003; Martis/Winkhart-Martis, MDR 2017, 858 f). Zudem können die Auf-zeichnungen des Arztes im Krankenblatt herangezogen werden (BGH, Urteile vom 28. Januar 2014 aaO und vom 8. Januar 1985 aaO). Einen wesentlichen Anhaltspunkt für den Inhalt der dem Patienten erteilten Aufklärung stellt – in po-
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sitiver wie auch in negativer Hinsicht – schließlich ein dem Patienten zur Verfü-gung gestelltes oder von diesem unterzeichnetes Aufklärungs- oder Einwilli-gungsformular dar (BGH, Urteile vom 11. Oktober 2016 – VI ZR 462/15, NJW-RR 2017, 533 Rn. 8; vom 28. Januar 2014 aaO Rn. 13; vom 22. Mai 2001 – VI ZR 268/00, NJW-RR 2001, 1431, 1432; vom 15. Februar 2000 – VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1, 13; und vom 29. September 1998 – VI ZR 268/97, NJW 1999, 863, 864; Lepa, Festschrift Geiß, 2000, S. 449, 455 mwN). Dies gilt auch im Hinblick auf die Pflicht zur therapeutischen Information im Sinne des § 630c BGB (früher: the-rapeutische Aufklärung; vgl. dazu BGH, Urteil vom 27. April 2021 – VI ZR 84/19, NJW 2021, 2364 Rn. 10). So hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 11. April 2017 dem dortigen Berufungsgericht aufgegeben, das von dem Arzt vorgelegte Muster eines nach seinem Vortrag verwendeten Standardschrei-bens bei der Beurteilung der Frage zu verwerten, ob dieser den Patienten über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes unterrichtet hatte (VI ZR 576/15, NJW 2018, 621 Rn. 18). Dem Umstand, dass es sich um formularmäßige Mitteilungen, Merkblätter oder ähnliche allgemein gefasste Erklärungen handelt, hat der Bundesgerichtshof dabei jeweils keine einer Beweiswirkung entgegen-stehende Bedeutung beigemessen. Vielmehr hat er auf die Vorteile vorformulier-ter Informationen für den Patienten hingewiesen und diesen selbst dann einen Beweiswert beigemessen, wenn sie nicht unterschrieben sind (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2000 aaO S. 2, 13).
Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 (BGBl. I S. 277) die “bisherigen richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaf-tungs- und Behandlungsrechts gesetzlich … kodifiziert” (BT-Drucks. 17/10488, S. 9), was insbesondere auch das Beweisrecht einschließt (vgl. aaO. z. B. S. 10, 43, 55 f). Dabei hat er ausdrücklich die Beweiswirkung der Dokumentation in der
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Patientenakte anerkannt sowie eine formularmäßige Bestätigung einer Aufklä-rung und einer Einwilligung für zulässig gehalten (BT-Drucks. 17/10488, S. 29; vgl. auch Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., A 71; Prütting/Friedrich, GesR 2019, 749, 754).
Dieses Aufklärungs- und Beweisregime wird durch die angegriffene Klau-sel weder verändert noch ergänzt. Vielmehr fügt sie sich in dieses ein, so dass gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB eine Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB nicht stattfindet. Eine Überprüfung der Klausel nach diesen Vorschriften mit der möglichen Folge ihrer Unwirksamkeit und einem daraus folgenden Ver-wertungsverbot würde vielmehr zu nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führen: Während dem unterschriebenen Aufklärungsbogen jegliche Beweiswir-kung abgesprochen werden müsste, käme auf der Grundlage der Rechtspre-chung des Bundesgerichtshofs und der Begründung des Gesetzes zur Verbes-serung der Rechte von Patientinnen und Patienten dem nicht unterschriebenen Formular, der lediglich internen Dokumentation des Behandlers oder der “ständi-gen Aufklärungspraxis” ein Beweiswert zu, obwohl hier eine Mitwirkung des Pa-tienten nicht sicher festgestellt werden kann, während diese im erstgenannten Fall durch die Unterschrift dokumentiert ist (vgl. auch Prütting/Friedrich aaO S. 755).
c) Die angegriffene Klausel ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie eine “aggressive geschäftliche Handlung” im Sinne des § 4a UWG darstellen würde. Dem steht bereits entgegen, dass die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Klausel bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der “Patienteninformation” im Übrigen (§ 306 Abs. 1 BGB) nicht geeignet wäre, eine auf den Vertragsschluss abzielende un-zulässige Beeinflussung zu beseitigen. Zudem ist Streitgegenstand des Verfah-rens nach § 1 UKlaG die konkret angegriffene Klausel, nicht aber die inhaltliche Richtigkeit und Sachlichkeit der dem Patienten erteilten Information.
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2. Da nach alledem die Abmahnung nicht berechtigt war, steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gemäß § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG (jeweils in der bis zum 1. Dezember 2020 geltenden Fassung) zu.

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